2. bis 28. Oktober 2022

Claus Schnarrenberger

  1. Teil: Vorbereitung und Hinfahrt

Anfang Juli 2022 erhielt ich von Bernd Malzanini, dem Vorsitzenden des Freundeskreises Potsdam-Perugia einen Anruf, ob ich denn auch wirklich nach Perugia ginge, wenn ich ein Stipendium für einen Sprachkurs bekommen würde. Ich war so überrascht, dass ich einige Sekunden brauchte, um mich zurecht zu finden. Ja, natürlich! Obwohl mir in diesem Augenblick nicht klar war, wie ich das organisieren würde.

Der Freundeskreis erhält jedes Jahr von der Stadt Perugia (Partnerstadt von Potsdam) ein Stipendium für einen Sprachkurs an der Università per Stranieri di Perugia. Unter zwei Bewerbern hatte mich der Vorstand des Freundeskreises ausgewählt, weil ich mich etwas mehr bei Veranstaltungen engagiert hatte. Von dem Stipendium hatte ich schon im Jahr zuvor erfahren und mich im Mai darum beworben. Für mich war es genauso eine freudige Überraschung wie damals 1990, als ich ein Stipendium für ein halbes Jahr nach Japan erhielt. Mit Bernd verband mich seit ca. fünf Jahren eine persönliche Freundschaft, als Brigitte und ich ihn und seine Frau Kathrin in Ravenna bei einem Meeting der deutsch-italienischen Gesellschaften kennenlernten. Außerdem verbindet uns ein gärtnerisches Interesse und die Herstellung von Bitter-Orange- (Pomeranzen-)Marmelade. Seit vier Jahren bin ich mit Brigitte zusammen Mitglied des Freundeskreises Potsdam-Perugia.

Schnell wurde mir klar, dass der Oktober 2022 relativ gut in meinen Kalender passte und schon wenige Tage später konnte ich mich dort anmelden. Ich buchte über das Freiburger Reisebüro Gleisnost eine Zugfahrt und fuhr am 30. September 2022 mit der Bahn bis Freiburg, um bei meinem Neffen Benjamin zu übernachten und um am nächsten Tag um 9 Uhr über Basel SBB, Milano und Firenze nach Perugia zu fahren. Roberta, die in den 1990er Jahren einmal zwei Jahre bei mir an der FU Berlin gearbeitet hatte und bei der ich anschließend an der Volkshochschule Italienisch lernte, hatte mir eine Wohnung in Perugia vermittelt bei Riccardo Bertinelli, Via Cortonese 1. Wir hatten verabredet, dass er mich am Bahnhof abhole, aber er war nicht da. Ich konnte erst keinen telefonischen Kontakt mit ihm bekommen. Aber jemand half mir mit dem Handy und nach zehn Minuten kam er dann. Er brachte mich mit seinem Auto an sein Haus, nicht weit vom Bahnhof entfernt, aber weil es Nacht war, war ich ohne Orientierung. Es war ein großer Neubau mit acht Etagen und je 20 Wohnungen pro Etage. Das Gebäude wurde gerade wärmeisoliert und war deshalb in Folie eingehüllt, so dass ich praktisch keine Aussicht hatte. Schade, aber dafür hatte er bei der Verhandlung mit Roberta mir 30 Prozent Mietnachlass gegeben. Ich übergab ihm, wie verabredet, die zweite Rate der Miete von 600 Euro (300 Euro hatte ich ihm schon Anfang August überwiesen). Das ging wirklich alles gut, denn zur Zeit meiner Ankunft waren Wohnungen in Perugia teuer und schwierig zu bekommen, weil einmal viele Studenten der Universität (und der Università per Stranieri) Wohnungen suchten und weil die italienische Regierung viel Geld bereitgestellt hatte, um alte Wohnungen zu modernisieren. Letztere standen natürlich auch nicht auf dem Markt zur Verfügung. Als Riccardo (Eigentümer) ging, war es 20 Uhr. Ich konnte gerade noch den Koffer auspacken und mich gemütlich einrichten, um zu Bett zu gehen.

            Mein Apartment im 4. OG bestand aus zwei Zimmern, dem Wohnzimmer mit Kochzeile und Kühlschrank und einem Schlafzimmer, dazu noch Bad mit Toilette. Alles war neu eingerichtet. Im Wohnzimmer standen ein größerer Tisch mit mehreren Stühlen, ein Sofa (etwas zu klein, um darauf zu schlafen) sowie Fernseher und Anrichte. Im Schlafzimmer waren ein wirklich breites Doppelbett, ein großer Wandschrank und eine kleine Anrichte, alles sehr praktisch und handlich. Das Fenster zum Balkon ging über die gesamte Zimmerfront, aber die Isolierung dieser Fenster war wirklich lausig im Vergleich zu dem Aufwand, der gerade für die Wärmeisolierung des Hauses getrieben wurde.

            Schon tags zuvor in Freiburg hatte ich morgens am Hals rechts große Schmerzen. Am Abend waren die Schmerzen am Hals links und am nächsten Morgen war mein gesamter Hals völlig steif und extrem schmerzhaft. Gott sei Dank hatte ich bei ähnlichen Situationen meinen Therapeuten gut auf die Finger geschaut und konnte mich selbst mit eiserner Energie dreimal am Tag eine bis eineinhalb Stunden lang nach der Methode von Liebscher und Bracht behandeln, sodass mein Hals nach vier Tagen wieder fast schmerzfrei und beweglich wurde. Die ganze Zeit hatte ich zusätzlich meinen Schal um, um meinen Hals warm zu halten.

2. Oktober 2022 (Sonntag)

            An diesem Tag wollte ich mich in meiner neuen Umgebung zurechtfinden. Der Bahnhof und meine Bleibe waren unten im Tal, während die Altstadt oben auf dem Berg lag. Die Via Cortonese ist eine vierspurige Schnellstraße bergabwärts und, um sie zu überqueren, musste ich oft eine Rotphase weiter oben abwarten. Weiter oben gegenüber an der Ecke war ein Café/eine Bar, wo ich mir ein erstes italienisches Frühstück leistete, drei Croissants und einen Caffè Latte. Anschließend machte ich einen Spaziergang, vorbei an einem japanischen Restaurant, dann den Berg hinauf und auf der Gegenseite die Via Cortese wieder zurück. Dann wollte ich bei der Minimetrò eine Monatskarte kaufen. Dies war aber nur werktags am Bahnhof möglich. Außerdem suchte ich nach dem Bus C, mit dem ich am nächsten Morgen zur Università per Stranieri fahren wollte, denn ich sollte am Montag, den 2. Oktober zu einem Einstufungstest dort erscheinen.

            Nachmittags lief ich zu Fuß in die Stadt hinauf. Mein Weg führte über enge Straßen und Pfade der Minimetrò entlang nach oben. Ich schaffte mit knapper Mühe zwei Drittel des Wegs und war für eine Pause an der Piazza San Francesco mit der Academia di Belle Arti, sehr dankbar für eine Pause. Auf dem Platz waren gerade mehrere Stände aufgebaut, an denen ich u.a. ein Mittagessen einnehmen konnte. Im Museum gab es gerade eine Ausstellung mit Plastiken des Skulpteurs Canova, dessen Berühmtheit mir erst viel später klar wurde, und mit Gemälden aus seiner Zeit (nicht allzu aufregend). Den anderen Teil der Canova-Ausstellung sollte ich erst gegen Ende meines Aufenthalts in der Innenstadt sehen. Eine kleine Kirche links der Academia war wegen eines Gottesdienstes nicht zugänglich. Auch die große Kirche San Francesco al Prato auf der anderen Seite war geschlossen und vis-à-vis der Kirche sah ich ein großes Eingangstor mit der Überschrift Università. Ich folgte weiter dem Weg in die Stadt hoch und erreichte sie schließlich am Corso Vannucci. Hier erkannte ich wieder viele Gebäude, die ich vier Jahre zuvor mit Brigitte gesehen hatte. Heute war der Eindruck aber viel einladender, weil es nicht wie damals in Strömen regnete, sondern die Sonne schien. Damit beschloss ich meinen Spaziergang, um meinen Hals zu pflegen.

3. Oktober 2022 (Montag)

            Tag der Deutschen Einheit. Um 6 Uhr klingelte der Wecker, um 7 Uhr machte ich mich auf zur Università per Stranieri und wartete an einer Haltestelle auf Bus C, der aber nicht kam. Um 7.45 Uhr nahm ich den nächsten Bus auf den Berg hoch und dann ein Taxi. Um 8.15 Uhr betrat ich den Palazzo Gallenga, in dem sich die Università per Stranieri befand. Man wies mich gleich in die Sala magna im 2. OG. Wie entspannt dort alles vor sich ging! Man bat mich, irgendwo Platz zu nehmen und zu warten. Vorne saßen vier Damen, die einzelne Aspiranten wohl aushorchten. Es dauerte sicher mehr als eine Stunde, bis ich an der Reihe war. Ich wurde nach meinen Kenntnissen und der Teilnahme an bisherigen Kursen befragt, alles auf Italienisch. Ob ich schon congiuntivo, passato prossimo und imperfetto gelernt hätte? – Naturalmente! – Nach fünf Minuten Interview meinte meine Prüferin, ich solle am Kurs B1.3 teilnehmen. Genau das war es, was ich mir bei der Vorbereitung die letzten neun Wochen vorgenommen hatte. Keine Frage zu meinen Grammatik- oder Vokabelkenntnissen! Um 10 Uhr begann der Kurs in der Sala Musica im 2. UG an der Nordseite des Palazzo. Dieser liegt an einem steilen Hang und hat seinen Eingang an der Südseite im EG ebenerdig.

            Unsere Hauptlehrerin war Jasmine, etwa 35 Jahre alt, sehr energisch und herausfordernd, aber ein didaktisches Genie, wie sich herausstellte. Beim Sprechen artikulierte sie ausgezeichnet, weswegen ich sie sehr gut verstand. Sie sagte, sie sei mit dem Meer aufgewachsen und würde in der Freizeit immer ans Meer zum Baden gehen. Sie hat eine 12jährige Tochter und einen 9jährigen Sohn. Sie kommt immer auf den letzten Drücker, aber rechtzeitig. Und sofort geht es mit der Aktivierung der Zuhörer los. Wenn keine Antworten kamen, animierte sie uns aufzuwachen und uns zu äußern. Und wenn nach ihren Erläuterungen sie sich vergewisserte, ob wir noch Fragen hätten, kam immer die eindringliche Frage „Abbiate capito?“ oder „Okay?“ Spätestens da wusste jeder, dass das, was sie zuvor gesagt hatte, wirklich wichtig war. Sie sagte, sie spreche nur Italienisch und keine andere Sprache. Ich äußerte meine Verwunderung, denn in Deutschland sprächen auch viele einfache Leute zumindest etwas Englisch. Dann gestand sie, auch Spanisch und weitere Sprachen zu können. Auch dass sie mit Spaniern Probleme hätte, weil sie so schnell sprächen.

            Jasmine empfahl uns, das Buch Nuovo Contatto B1 als Lehrbuch für den Kurs zu verwenden. Es hat sechs Kapitel, einen Übungsteil am Ende und ist in meinen Augen noch komplizierter aufgebaut als unsere deutschen Italienischbücher. Alles ist auf Induktion aufgebaut und nur ganz am Ende erfährt man etwas systematisch über die Grammatik. Für mich als Systematiker war das nicht sehr angenehm. Manchmal aber verwendete sie oder ihre Kollegin ein weiteres Buch. Sie übermittelte dann die entsprechenden Seiten über Internet an die jeweiligen Teilnehmer, die das Buch nicht hatten. Ich suchte jedenfalls vergebens nach ihren Nachrichten und fühlte mich so sehr verlassen. Erst in der Mitte des Kurses konnte ich eine Stelle im Hause ermitteln, wo zwei ältere Herren mir sehr kompetent helfen wollten. Einmal war mein Fehler, dass ich noch keinen Account bei der Universität (Ustrapg) eingerichtet hatte. Und nochmals zwei Tage später fand ich heraus, dass sowohl mein Handy als auch mein Tablet viel zu alt waren, um diese Nachrichten erhalten zu können, weil meine beiden Geräte die Updates der Systeme nicht mehr akzeptierten.

            Unsere zweite Lehrerin war Frederica. Bei ihr sollten wir mehr Praktisches zur Anwendung der italienischen Sprache lernen, etwa Sprichwörter, Wortzusammenhänge und -bildungen, etc. Das kam bei mir sehr gut an. Aber oft war es nur eine Ergänzung zum Stoff, den Jasmine abgehandelt hatte. Das war aber nicht weiter schlimm, weil sich die beiden immer sehr gut abgesprochen hatten. Von ihr stammt auch der schöne Spruch: fare le ore piccole (die Stunden klein/kurz machen, d.h. zu spät ins Bett gehen, spät aufstehen und unausgeschlafen zum Unterricht kommen). Bei Frederica hatten wir donnerstags und freitags je zwei Stunden Unterricht. Frederica erzählte viel über italienische Gewohnheiten, Ausdrücke etc., was für die anderen und mich äußerst interessant war. Sie war ebenfalls verheiratet und hatte zumindest ein Kind im Kleinkindalter. Ihr Mann ist Jurist und berät die italienische Botschaft in Berlin. Privat sprach sie fließend deutsch.

Neben dem Unterricht bei Jasmine und Frederica gab es noch das Sprachlabor im 1. UG. Der Unterricht sollte bei einem Herrn stattfinden. Das erste Mal war er nicht da, das zweite Mal war er zugegen, beim dritten Mal fehlte er wegen Corona und beim letzten Mal war er wieder im Einsatz. Bei Abwesenheit wurde er durch zwei andere Frauen vertreten. Er war schon etwas älter und eigentlich sehr engagiert. Bei ihm sollten wir unser Gehör für die Sprache trainieren. Das war gut gemeint, aber die Technik des Anhörens, Zurückspulens, Neu-Anhörens und Aufnehmens war für mich durchweg eine Tortur. In diesem Unterricht hatte ich praktisch nichts gelernt. Hinzu kam, dass ich gesprochene Texte von einem Tonträger kaum verstand. Jasmine beruhigte mich später und meinte, bis auf Spanisch-Sprechende hätten alle dasselbe Problem. In jedem Fall war das Pathos, mit dem die Italiener sprechen, um ein Vielfaches größer, als wir es im Deutschen kennen. Am besten wurde mir das bei Jasmine und Frederica klar. Sie sprachen bei betonten Silben die Vokale sehr breit. Wenn ich sie nachahmte, merkte ich plötzlich auch bei mir, dass es viel italienischer klang.

Wir hatten täglich vier Stunden Unterricht, nur montags und mittwochs drei Stunden. Wir waren zwischen zwölf und 20 Studenten, zwölf waren der harte Kern, der jeden Tag anwesend war. Ich kann zwar nicht alle aufzählen, aber einige seien hier doch genannt:

            Susie war meine Nachbarin in der ersten Reihe. Sie war Amerikanerin aus Seattle. Seattle ist auch Partnerstadt von Perugia, aber viel größer als Potsdam. Deshalb erhielt Seattle auch zwei Stipendien pro Jahr. Sie war sicher auch schon um die 70 Jahre alt, aber hatte nicht ganz die Spracherfahrung wie ich. Wir wurden gute Freunde. Ihre etwa gleichaltrige Freundin war Nina, eine Norwegerin, die aber bald einen Kurs zurückging, weil ihr unser Kurs zu schwierig war. Ich traf Susie oft mit oder ohne Nina beim Essen oder bei Konzerten.

            Carlos saß hinter mir, Spanier, und sprach in der Tat sehr schnell. Weil ich da nicht mithalten konnte, kam ich mir ganz klein vor. Aber er hatte auch weitere Vorteile, weil Spanisch dem Italienisch sehr ähnlich ist. Spanier können Italiener verstehen und vice versa.

            Angelika war ca. 40 Jahre alt, in den USA geboren, aber in Mexico lebend. Sie spricht sehr dominierend, so dass ich zuerst dachte, sie sei uns weit voraus. Aber mit der Zeit bemerkte ich, dass sie Italienisch gerne mit Spanisch und Englisch vermischte. Und genau das war ihr Problem: Großer Wortschatz, aber kaum Grammatikkenntnisse. Als ich das merkte, hörte ich ihr nicht mehr zu. Sie hat nicht weit von Perugia Freunde und träumt davon, später zu ihnen zu ziehen und dort sich sozial zu engagieren. Aber sie hat dazu noch viele Formalien zu klären.

            Dagoberto war Kolumbianer, eher klein, ca. 40 Jahre alt. Er hatte schon gute Italienischkenntnisse, aber eben auch Vorteile durch seine Muttersprache. Er sprach aber sehr undeutlich und hatte einen starken Akzent. Auch fiel er mir auf, dass er es verstand, die Leute zusammenzubringen und etwas zu unternehmen. Er nahm mich einmal mit in die Mensa und klärte für mich dort alle Probleme. Mich erinnerte er ein wenig an den Berliner KaDeWe-Erpresser Dagobert, der die Polizei über Wochen narrte, am Ende aber leider gefasst und verurteilt wurde. Er hatte die Sympathien von ganz Berlin.

            Zwei Litauerinnen, Erasmus-Stipendiatinnen, eher sehr ruhig. Die größere konnte ich privat etwas erleben und sie war sehr gesprächig. Sie hatte klare Vorstellungen über ihr Land und die Welt. Ihre Kollegin war so ruhig, dass ich sie nicht weiter charakterisieren kann.

            Mikhael, Russe, sehr groß, nach dem Krimkrieg geflohen, lernt jetzt italienisch. In Russland war er wohl Jurist, aber das nützt ihm in Italien wenig. Er weiß noch nicht, was er später einmal machen will. Er hat einen Onkel in der Nähe von Perugia, der ihn auch etwas unterstützt. Seine Mutter ist tot und zu seinem Vater hat er kaum Kontakt. Auf mich machte er einen sehr sympathischen Eindruck. Er meinte, die jungen Russen wollen etwas lernen und Spaß am Leben haben, aber nicht in den Krieg gehen.

            Karim, Amerikanerin, sehr offen. Mit ihr hatte ich ein Interview für den Tag der italienischen Sprache.

            Indonesierin. Mit ihr hatte ich praktisch keinen Kontakt.

Nach dem Unterricht war meine erste Aktion, einen Stadtplan zu kaufen. Meine bisherigen kleinen Stadtpläne hatten entweder keine Straßennamen, keine Sehenswürdigkeiten oder keine Bushaltestellen eingetragen oder es fehlten andere wichtige Details wie die peripheren Bezirke. In meinem Fall fehlten immer der Bahnhof und die Gegend, in der ich wohnte. Der neue Stadtplan bei der Bücherei La Feltrinelli war wenigstens weitgehend komplett in puncto Straßennamen und Genauigkeit der Entfernungen. Bus- und Bahnfahrpläne gab es nicht in Perugia. Da war man auf das Internet oder die Anzeigen im Bahnhof oder an den betreffenden großen Haltestellen der Busse angewiesen. Kleine Bushaltestellen hatten keine Informationen zu Buslinien oder Abfahrtszeiten. Manche Buslinien fahren nur alle 20 oder 30 Minuten. Mit diesem System kann schon viel Zeit verloren gehen. Glückliches Deutschland, glückliches Berlin! Wir leben hier im Schlaraffenland, wenn denn Busse und Bahn kommen. Übrigens hängen die Leute in Italien im Schnitt doppelt so lange am Handy wie in Deutschland. Zu meiner eigenen Enttäuschung musste ich feststellen, dass ich mit meinem Handy nur in meiner Wohnung und an der Universität Internet hatte. Diesen Fehler konnte ich erst in den letzten zehn Tagen meines Aufenthalts beheben.

Am Nachmittag ging ich auch zum Busbahnhof und zum Bahnhof Perugia, um mir dort die wichtigsten Verbindungen anzusehen und aufzuschreiben. Für mich war die Minimetrò das wichtigste Verkehrsmittel zwischen Wohnung und Altstadt zur Università per Stranieri. Sie ist eine Kabinenbahn, die auf Gummirädern läuft und mit einem Seil nach oben gezogen wird. Alle zwei Minuten kommt eine Kabine mit acht Sitzplätzen und etwa zwölf Stehplätzen. Die Türen innen und die auf dem Bahnsteig öffnen sich automatisch. Die Aussicht durch die Fenster ist fantastisch, wenn sie nicht gerade im oberen Teil im Tunnel fährt. Der Zugang wird durch eine elektronische Fahrkartenkontrolle überwacht. Alles ist vollautomatisch. Von daher ist diese Minimetrò wirklich futuristisch, wenn da nicht der Lärm wäre, den sie verursacht. Entweder sind es die Gummireifen oder die Motoren, die vor allem nachts einen enormen Lärm machen. Aus diesem Grund darf die Minimetrò nur zwischen 7 und 21 Uhr laufen. Für mich war die Minimetrò das wichtigste Verkehrsmittel. Sie fuhr etwa 40 Höhenmeter über dem Ausgang meines Hauses los. In der Regel war sie nicht übermäßig voll, außer zur Rushhour der Schüler. Die älteren Leute trugen eine Maske. Immerhin gab es in den Kabinen hinten und vorne oben kleine Fenster, die immer offen waren und für guten Luftaustausch sorgten. Am Bahnhof konnte ich eine Monatskarte für öffentliche Verkehrsmittel in Perugia für 50 Euro kaufen, also auch für die Minimetrò. Die Stationen von oben nach unten sind Pincetto, Cupa, Case Bruciate (meine Station), Fontevegge (Bahnhof) und noch zwei weitere Stationen. Irgendwie hat mich diese Bahn sehr an die Zahnradbahn in Stuttgart erinnert. Übrigens gab es an der Station Case Bruciate einen Strauch, der sehr starken Duft von Vanille verströmte. Er war gerade mit vielen kleinen Blüten am Blühen.

            Abends ging ich noch zu Coop bei mir um die Ecke, um mich mit Lebensmitteln einzudecken. Wie immer, kaufte ich viel zu viel. Vor allem eine Rinderzunge genoss ich sehr, aber richtig weich wurde sie beim Kochen nicht. Einen etwas teureren lokalen Käse hatte ich mir geleistet, wunderbar im Geschmack. Vergesst den deutschen, in Plastikfolie eingeschweißten Scheibenkäse von Aldi! Dieser Coop war wie Edeka bei uns, vielleicht etwas großzügiger in der Fläche, aber bekannt für preiswert. In der Altstadt sah ich kleine Läden von Coop. Diese waren richtig eng! Eingang linke Tür, Ausgang rechte Tür an der Kasse.

            Mein Tagesablauf unter der Woche war weitgehend immer derselbe. Deshalb werde ich im Folgenden nicht immer wieder darauf zurückkommen. Er begann mit Aufstehen und Frühstücken um 7 Uhr. Um 8.15 Uhr verließ ich meine Wohnung. Zuerst musste ich gute 100 Meter einen sehr steilen Weg nach oben gehen, dann einem Trampelpfad von 800 Metern bis zur Station Case bruciate folgen und von dort mit der Minimetrò bis Pincetto hochfahren. Von Pincetto geht es über drei unterirdische Rolltreppen weiter nach oben, um bei einer Terrasse am Ristorante del Sol mit herrlichem Ausblick ins Tibertal anzugelangen. Weiter geht es dann zu Fuß nach oben zum Corso Vannucci, etwas nach rechts und auf der anderen Seite wieder nach unten zum Palazzo Gallenga, wo sich die Universitá per Stranieri di Perugia befindet. Abends ging es dann denselben Weg zurück, mit Variationen. Gewöhnlich habe ich nach dem Unterricht in der Altstadt irgendwo zu Mittag gegessen und Spaziergänge in unterschiedliche Richtungen unternommen, um die einzelnen Quartiere kennen zu lernen. Meist bin ich 17 Uhr zu Hause gewesen und benötigte ca. zwei Stunden Schlaf, um mich wieder zur regenerieren. Von 19 bis 22 Uhr habe ich den Stoff des morgendlichen Unterrichts wiederholt und eine gute Mitschrift angefertigt.