Lesemarathon mit Novellen aus Giovanni Boccaccios Buch „Il Decamerone“ („Das Dekameron“) am 1. März 2018 in der Stadt- und Landesbibliothek Potsdam, veranstaltet vom „Freundeskreis Potsdam-Perugia e. V.“

„… wir sollten uns vielmehr Geschichten erzählen, wobei ein Erzähler der ganzen Gesellschaft, die ihm zuhört, Vergnügen bereitet.“

Diese Worte kommen mir sofort in den Sinn, wenn ich den Abend des diesjährigen Lesemarathons beschreiben soll. Es ist die schöne Jungfrau Pampinea, eine der Protagonistinnen in Boccaccios berühmter Novellensammlung, die sie ausspricht, und sie beziehen sich auf eine der angenehmsten mir bekannten Arten der Abendunterhaltung und auf das Vergnügen, das jeder Zuhörer empfindet, wenn ihm kurzweilige, dramatische und zuweilen auch nachdenkliche Geschichten erzählt oder vorgelesen werden.

Und so ist es auch nicht verwunderlich, dass der Abend geprägt war von einer angenehmen und vergnüglichen Atmosphäre. Die Veranstaltung war gut besucht und das Publikum gespannt und aufmerksam und bis zum Schluss begierig, eine weitere und noch eine kuriose Begebenheit zu hören.

Bernd Malzanini, der Vorsitzende des Freundeskreises Potsdam-Perugia e.V., und Sybille Weber, zuständig für die Öffentlichkeitsarbeit der SLB, moderierten den Abend auf eine charmante und selbstverständliche Weise mit kurzen prägnanten und informationsreichen Texten zwischen den einzelnen Lesungen.

Neben der ausgewählten Literatur ist natürlich auch der Vortragende von entscheidender Bedeutung für das Gelingen eines Lesemarathons. Die intensive Suche nach geeigneten Vorlesern hat sich auch in diesem Jahr wieder gelohnt und ganz herzlich zu danken ist an dieser Stelle: Maria-Luise Döring, Karen Schneeweiß-Voigt, Andrea Brose, Christian Ballhaus, Carsten Wist und Matthias Iffert. Mit ihrer jeweils eigenen Art trafen sie hervorragend sowohl den Tonfall der von ihnen gelesenen Erzählung als auch den Charakter der Dichtung Boccaccios.

Giovanni Boccaccio (1313 – 1375), Sohn eines Kaufmanns, war ein vor allem in Florenz tätiger Gelehrter und Schriftsteller. Sein großes Interesse an den Schriften antiker Autoren beeinflusste stark das intellektuelle Leben in Florenz und trug zu einer geistigen Atmosphäre bei, die ca. siebzig Jahre später in die Kultur der Frührenaissance münden sollte. So veranlasste er beispielsweise erstmalig die Übersetzung der Werke Homers ins Italienische.

Auch seine Begeisterung für Dante Alighieri war von großer Bedeutung in einer Zeit, in der sich das „Toskanische“ nach und nach zu einer der bedeutendsten Kultursprachen Italiens und Europas entwickelte.

Den Höhepunkt seiner eigenen literarischen Tätigkeit bildet die Novellensammlung „Il Decamerone“ (Das Dekameron), ein Werk, das, obwohl Boccaccio sich in seiner Jugend in Neapel auch in adligen Kreisen bewegt hatte, sehr stark vom städtisch-bürgerlichen Charakter der Stadt Florenz geprägt ist.

So erzählen die hundert Novellen überwiegend von einfachen Menschen: Kaufleuten, Klerikern, Bürgern und ihren Ehefrauen.

Erstaunlich vertraut erscheinen uns die Handlungsweisen, die Probleme und Antriebe der handelnden Personen. Hinterlist oder Begehren, Ergebenheit oder der Wunsch, in Reichtum sein Glück zu finden, all das ist uns nicht völlig fremd und verleiht dieser spätmittelalterlichen Literatur eine verblüffende Aktualität.

Sieben junge Damen aus Florenz und ihre drei männlichen Begleiter finden sich, von der Pest aus der Stadt vertrieben, auf einem Landgut zusammen, um das Ungemach der Epidemie zu vergessen und sich, so gut es geht, in aller Unschuld mit Spiel, Gesang und Frohsinn zu vergnügen und so ihrer Jugend, ihrem natürlichen Drang nach Leben Genüge zu tun. Abend für Abend erzählen sie sich gegenseitig Geschichten voller Abenteuer, tragischer, komischer oder seltsamer Begebenheiten.

Innerhalb dieser Rahmenhandlung vereint Boccaccio seine einhundert Novellen, deren Stoffe aus den unterschiedlichsten Quellen stammen und deren Charakter demzufolge sehr verschieden ist.

Wir konnten im Laufe des Abends von den Abenteuern des jungen Händlers Landolfo erfahren, der mit ehrlichem Handel keinen Erfolg hat, sein Glück als Pirat versucht und auch hierin scheitert, und nur durch Zufall am Ende doch noch als reicher Mann in seine Heimat zurückkehrt.

Wir hörten von der Weisheit des Juden Melchisedech, der durch seine kluge Antwort eine brenzlige Situation für sich entscheiden kann und so auch noch das Vertrauen eines reichen Sultans erlangt.

Wir erfuhren von den wahrhaft bösartigen und hinterhältigen Scherzen der Freunde Bruno und Buffalmacco, die den leichtgläubigen Calandrino nicht nur zum Narren halten, sondern ihm außerdem ein Schwein stehlen, und von der Gewitztheit einer jungen Florentinerin, der es gelingt, ihrem Ehemann die Hörner aufzusetzen, und das sogar in seinem Beisein.

Und so konnte der Zuhörer zwei Stunden lang in die Welt des mittelalterlichen Florenz eintauchen und einen lebendigen Eindruck gewinnen: vom Alltag, den Nöten und den Vergnügungen der einfachen Leute in dieser Zeit. Zu diesem intensiven Eindruck trugen auch alt-italienische Lieder bei, die Karen Sokoll während der Pause auf dem Klavier vortrug. Einen ganz herzlichen Dank dafür an dieser Stelle.

Ich persönlich bin seit längerem fasziniert von der italienischen Kultur des Mittelalters und der Renaissance, und mir bleibt von diesem Abend, außer dem angenehmen und runden Eindruck, die Lust und der Drang, noch weitere Novellen von Boccaccio zu lesen.

Herzlichen Dank allen weiteren Personen, die durch ihr perfektes Zusammenspiel zum Gelingen des Leseabends beigetragen haben. Alles in allem: ein Erfolg!

 

Text: Axel Gremmes

Wir sollten uns viel mehr Geschichten erzählen
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