Denke ich an Italien, so habe ich das Land vor Augen, in dem Dichter und Denker, Musiker, Baumeister und Künstler Anregung, Freude und Entspannung fanden. Für uns Deutsche ist Italien schon immer das Reiseziel schlechthin, nicht zuletzt wegen der Sonne, der Farben und der Leichtigkeit des Seins. Bella Italia!
In seinem Vortrag „Avanti Populismo – die radikale Wende in Italien und ihre Konsequenzen für Europa“ zeigte uns Herr Renzo Brizzi, der als Redakteur und Journalist in Deutschland, Italien und Frankreich tätig war und nun Vorträge über politische und soziokulturelle Themen hält, ein anderes Bild vom heutigen Italien, was mit dem „Traumland“ kaum noch vergleichbar ist: Vielmehr sprach er schon seit langem von einem Gespenst, das in Europa umgeht, und welches tiefe Wurzeln in der Geschichte Italiens hat.
Zunächst erläuterte Herr Brizzi die Entwicklung der Parteien und die häufigen Regierungswechsel nach dem 2. Weltkrieg. Er kam dann auf die aktuelle Situation nach den Wahlen am 4. März 2018 zu sprechen. Zwei Parteien bestimmen das politische Bild Italiens: Die „Movimento 5 Stelle“ (zu Dt.: Fünf-Sterne-Bewegung), die als radikale populistische Protestpartei unter Luigi di Maio gilt (32 %) und die Lega, eine Rechtspartei unter Matteo Salvini (17,3 %).
Herr Brizzi stellte sich die Frage nach dem Grund dieses so starken Rechtsrucks in Italien und erweiterte sie mit dem Hinweis, dass populistische Tendenzen immer populärer werden. Nicht nur in Deutschland und Frankreich, in Osteuropa und sogar in Schweden. Die Gründe, eine populistische Partei zu wählen, sind dabei sehr vielfältig: Es gibt große Verunsicherungen bei den Menschen, Angst vor dem Verlust des Arbeitsplatzes, Angst vor der Zukunft, der Digitalisierung, der Globalisierung, vor dem Alleingelassen sein etc. etc. Viele Menschen fühlen sich abgewertet oder gekränkt, sind enttäuscht und unzufrieden mit den Entscheidungen der Regierenden und deren Praktiken und lehnen daher die traditionellen Parteien ab. Die 5 Stelle und die Lega sind für sie etwas Vielversprechendes, vielleicht ein Neuanfang verbunden mit der Hoffnung auf eine bessere Zukunft. Durch das Internet wird ein großer Personenkreis erreicht – ein Plus für diese populistischen Parteien, die so die Probleme „des kleinen Mannes“ aufgreifen, ansprechen und einfache Lösungen für ein besseres Leben versprechen (bzw. vortäuschen). Das Thema Migration sei dabei nur der Anlass, nicht aber die Ursache für populistische Tendenzen.
Ob jedoch diese beide Parteien erfolgreich regieren und ihre Versprechen (die sehr viel Geld erfordern werden) einhalten können, ist bei zunehmend schwacher Wirtschaftslage doch stark zu bezweifeln: Die Arbeitslosigkeit ist immens. Es gibt eine Zweiteilung des Landes, ein Nord-Süd-Gefälle, verbunden mit gewaltigen sozialen Unterschieden. Der größte Teil des ärmeren Südens hat die Partei 5 Stelle gewählt (fast jeder zweite Jugendliche ist arbeitslos). Investoren sind im Moment wegen der unsicheren Lage nicht in Sicht. Wegen der unrealistischen Versprechungen der neuen Regierung wird die Staatsverschuldung noch höher steigen als bisher. Deswegen lehnt die Europäische Kommission den Haushaltsentwurf für 2019 ab und es drohen Sanktionen und Streichungen von EU-Hilfen.
Wie soll es nun weiter gehen? Kann die Regierung dazu gebracht werden, die Kriterien der EU einzuhalten? Wird es einen Austritt aus der Europäischen Währungsunion und eine Rückkehr zur Lira geben? Wie soll und wie kann Italien geholfen werden? Es gibt viele unbeantwortete Fragen und eine große Verunsicherung in Europa.
Bei all den Problemen, die sich in Italien und damit für die EU nun auftun, freuen sich die Regierungen der beiden Großmächte über ein schwächelndes Europa. Aus dem Hause Trump hieß es: „Es wäre phantastisch, wenn es zu einer Koalition aller Populisten käme“. Und die kremlfreundliche Ausrichtung der Partei 5 Sterne kommt Herrn Putin sehr gelegen.
Nach diesem aufrüttelnden, informativen und interessanten Vortrag von Herrn Brizzi war ich selbst verunsichert und bedrückt. In Abwandlung eines Gedichts von Heinrich Heine kam mir ein Satz in den Sinn: Denk ich an Italien und Europa in der Nacht, dann bin ich um den Schlaf gebracht…

Text: Rosemarie Söllner

Denke ich an Italien – Gedanken zu einem Vortrag von Renzo Brizzi
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